Mittwoch, 28. September 2011

Auf Nummer sicher gehen.


Die Welt ist gefährlich, hinterlistig und gemein. Und in Amerika wohl noch ein bisschen mehr.
Unlängst hat ein 132-Kilo-Mann ein Fastfoodrestaurant auf Schadensersatz verklagt, weil er ob seines Körperumfangs wegen nicht in deren Sitzecke passe. Und solch Kreativität wird auch noch belohnt: Es warten Millionen, Medienaufmerksamkeit und ein Preis. Kein Spaß, in Amerika wird der STELLA-LIEBECK-PREIS an unverfrorene und erfolgreiche Schadenersatzforderungen verliehen. Der Namensgeber dieses Preises ist eine 81-jährige Frau, die sich mit Kaffee verbrüht hat und anschließend McDonalds auf 4,5 Millionen Dollar verklagt hat, da sie keinen entsprechenden Warnhinweis bekommen hat. Kreative Ideen sind willkommen und würden mein Taschengeld aufbessern. Irgendwelche Juristen, die meinen Blog verfolgen?

Für kommendes Wochenende habe ich eine Hütte in den BlueRidge-Mountains gebucht. Der 8-seitige Vertrag verlangte 4 Unterschriften und das mehrmalige Einfügen meiner Initialen. Ein Paragraph schildert ausführlich die Policy fuer den Whirlpool (Oja,  vielleicht sollte ich erwähnen, dass die Hütte den schmucken Namen trägt: "IcantBeliveItsnotHeaven").

Wie ist diese Charaktereigenschaft zu umschreiben? Paranoid, dass man stets klagt? Übervorsichtig, weil immer etwas passieren kann? (Ob das auch der Grund ist, warum sich Amerikaner ständig entschuldigen, wenn man in ihrer Nähe eine unvorhergesehene Bewegung macht?). Wachsam, weil überall Flöhe und Bettwanzen lauern?
Ich weiß es nicht. Denn gleichzeitig kenne ich kein Volk, das in bestimmten Dingen dermaßen sorglos agiert. Sei es beispielsweise der Konsum von Medikamenten. Wachmacher wie Vigil und Ritalin sind hier noch die harmlosesten Dinge, die sich Studenten reinpumpen, um dem ständigen Leistungsdruck Herr zu werden.  Vielleicht sind es nur Einzelfälle, die ich hier generalisiere, stellenweise bin ich allerdings richtig schockiert... Ganz zu schweigen von den Regalmeter voller Tabletten in stinknormalen Supermärkten, in denen es teilweiße schwieriger ist ein Brot zu finden, als zwischen 10 verschiedenen Schmerztabletten zu wählen.
Das gleiche gilt fürs Essen. Und Ich meine nicht nur Burger, Pommes und Chicken Wings. Heute ist ein Artikel in der Zeitung, dass Melatonin-Brownies vorerst aus dem Angebot der Student-Stores genommen werden, weil die Lebensmittelbehörde Bedenken geäußert hat. Und offensichtlich ist es üblich, dass Sachen erst auf den Markt geworfen werden und dann auf ihre Verträglichkeit bzw. gesundheitsschädliche Wirkung untersucht werden.
Und kann man es etwas positiver umschreiben: Sorgenfreie Paranoia im Land der unbegrenzten Möglichkeiten (dazu übrigens mehr im nächsten Post) ?!

Ich freue mich nun erst mal auf die Berge! Und auf Temperaturen im einstelligen Bereich.
Ob ich es wage den Whirlpool zu benutzen?!

Da gehe ich doch lieber auf Nummer sicher,

Richard





Montag, 19. September 2011

Nicht teilbar - leider!


Hi Y’all,

mittlerweile kann ich sagen, dass ich nicht nur angekommen bin, sondern mich stellenweise bereits integriert habe. Im Guten sowie im Schlechten. Ich beginne mit letzterem:
Ja, ich ertappe mich bereits, dass ich die in der Mikrowelle aufgewärmten Nudeln mit Ketchup vor dem Fernseher esse.
Ja, und ich bekenne mich mittlerweile zu meiner Uni, habe mir ein hellblaues T-Shirt mit dem Emblem meiner Uni gekauft und ich trage es auch außerhalb des Footballstadions.
Ja, es fällt mir mittlerweile nicht mehr schwer zu sagen: See you around! Oder: I will call you!
Und ja, ich hatte neulich große Probleme mich auf deutsch mit einem anderen Austauschstudenten zu unterhalten, weil wir beide ungewollt dem englischen Satzbau gefolgt sind.

Nun positivere Indikatoren der Integration:
Bis auf den Fernseher kann ich nun alle elektrischen Geräte in meinem Haushalt bedienen. Neben richtig coolen internationalen Freunden, habe ich mittlerweile viele amerikanische Bekannt- und Freund(!)schaften! Im Handballteam entscheidet sich nächste Woche, ob ich ins A oder B-Team komme. Handball ist überraschenderweise kein Exotensport hier, sondern wird richtig ernsthaft betrieben. Anfangs musste ich lachen, als der Trainer den Neulingen erklärt hat, dass man im Handball maximal einen Punkt erzielen kann - egal von wo man wirft! - und nach drei Wochen Training üben wir schon die ersten Spielzüge ein. Irgendwie geht in Amerika alles ein wenig schneller.
Auch im Urban Planning Department kann ich so langsam Fuß fassen. Ich würde mich ja gerne in vier Richards teilen: Ein Richard würde ich in die Bib setzen, so dass die Lektüre und Assignments ansatzweise durchgeackert werden. Die anderen drei Richards müssten sich koordinieren zu welchen Partys, Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und sonstigen Aktivitäten sie gehen. Unglaubliches Programm, das hier geboten wird. Sei es Obama’s Pressesprecher, der aus dem Nähkästchen plaudert, oder die Veranstaltungen, die im Rahmen des 10. Gedenktags an 9/11 statt fanden, oder ein hochkarätiges Blues-Konzert, von dem ich gerade komme und diese Liste ließe sich ungeniert fortsetzen.

Liebe Grüße von Richard, der sich leider nicht teilen kann und dem so langsam die Kräfte schwinden.


Sonntag, 4. September 2011

72 Stunden in New York!

 Zurück aus New York City im ländlichen North Carolina! Zurück von einem Wochenende elektrischer Beats und tollen Wiedersehen! Aber auch zurück aus einer Stadt voller Ratten, stickiger Luft und permanenten Verkehrslärm. Obgleich der morgige Tag lehrfrei ist (Labor Day) und ich gerne noch einen Tag länger geblieben wäre, freue ich mich wieder in Chapel Hill zu sein (abgesehen davon, dass der morgige Tag am Schreibtisch verbracht wird). Wenn man in einer solch facettenreichen Stadt wie New York war und sich dennoch freut wieder zurück zukommen, dann betrachte ich das als Spitzenwert auf einem Wohlfühlindikator. Und sich wohl fühlen, ist unglaublich wichtig.
Meine Mitbewohner haben mich ja für ein wenig verrückt erklärt: Da ist der gerade mal 2 Wochen da und zischt gleich nach New York fürs Wochenende. Amerikanischer als mancher Amerikaner und Chapel Hill -> New York mit Zwischenstopp in Washington entspricht in etwa: London -> Milano mit Zwischenstopp in Stuttgart. Was soll's.

Raphi hatte mich „überzeugt“ diesen Trip noch kurz vor Abflug in Deutschland zu buchen. „Rischaaard, wir müssen da unbedingt zu Electric Zoo, einem rießigen Elektrofestival auf eine Insel zwischen Queens und Manhattan. Das wird MEGA“. Und Recht hat sie behalten, die Madame Marquette, und obendrauf ihr supercoole Freundin Selina mitgenommen. Nachdem wir Sonnenbrillen in allen Farben, die dazu passenden Getoradeflaschen und blaues (!) Haarspray in Chinatown zusammengetragen, uns gestylt und vergeblich versucht haben aus den Gesichtern der Menschen in der Metro wenigstens ein bisschen Verwunderung über unser Aussehen herauszulesen - wirklich vergeblich - sind wir auf dem Gelände angekommen. Geflasht vom feinsten Elektrosound der vier Bühnen und der Sicht auf die Wolkenkratzer von Manhattan tanzen wir zu Markus Schultz, Sebastian, Moby und den Crookers. Tiesto beendete den Abend durch ein grandioses Sample und Lamettaregen (ein Schelm, wer hier Parallelen zu Britney Spears ziehen möchte ;-)).

Die Aftershowparty haben wir auf den nächsten Tag gelegt. Zu kaputt waren Ohren und Beine. Kein „Ähh, geht es laaauuuuuddder!??“ aus meinem Munde.
Nach einem superentspannten Nachmittag im Central Park, waren wir mit Sophie, Sebastian und Cecile auf einer grandiosen Museumsparty in einer Dependance des Moma. Neben Party und elektrischen Beats hatten wir noch eine Rikschafahrt mit Gökhan durch Manhattan. So wie der gefahren ist, hätte er wahrscheinlich selbst in Istanbul den Führerschein abgeben müssen.

Eine Frage beschäftigte mich (und uns) das Wochenende: Was ist Fake in Amerika? 
Erwartet keine umfassende Antwort von mir, aber lasst mich eine Szene aus dem Central Park beschreiben und urteilt selbst: Ein Straßenmusiker unterhält im Gras liegende Menschen mit seiner Musik. Er steht am Ufer des künstlich angelegten See’s im größten, künstlich angelegten Parks, hinter im ragen die Wolkenkratzer in den Horizont. Auf einmal kommt ein Brautpaar den Weg entlang. Seine Gitarre verstummt und er stimmt einen Hochzeitsmarsch an. Im Anschluss spielt er „Falling in Love with You“ in Elvis Presley-Manier, das Paar tanzt und küsst sich. Man weiß, dass sie diesen Moment nicht vergessen werden. Und auch die umstehenden halten diesen Moment auf Bildern und Videotape fest.
Als der letzte Ton verstummt, entbrannt großer Applaus. Es hat etwas von einer Filmszene und wenn die Szene nicht Amerika spielte, würde man sich wahrscheinlich nicht nach der Kausalität fragen: War da zuerst die Szene und dann das Drehbuch, oder vice versa, ist die Szene nicht inspiriert durch Drehbücher tausender Hollywoodfilme?
Und ich finde diese Frage schlimm und ich versuche sie eigentlich nicht aufkommen zu lassen. Ich versuche nicht zu urteilen sondern versuche zu erkennen, dass aufbauend auf Fake, Schein und dem medialen Kunstgebilde, viel Raum ist für wahre Werte. Ja, vielleicht sogar MEHR Platz für Ehrlichkeit, für Offenherzigkeit und auch Schwäche. Wow, abstruse Theorien zu so später Stunde. Aber genau für solche Szenen liebe Ich Amerika!!! Und ich fände es frustierend und entmutigend, wenn wirklich alles Fake wäre.

Ich lade wieder ein paar Bilder auf Facebook: Richard 72 Stunden in New York
Spezielle Grüße nach Berlin, Durban, Emmendingen und Barcelona! Hoffe euch geht es gut!

Kein Fake und trotzdem ehrlich, Richard