Man soll gehen, wenn es am schönsten ist, sagt man. Das ist natürlich großer Quatsch. Woher sollte man denn wissen, ob der schönste Augenblick nicht noch kommen würde. Aber man kann ja nicht gleichzeitig gehen und bleiben und das Paradigma der Contrafaktualität lässt sich leider nicht umgehen. Man müsste also "am schönsten" definieren, und da wären wir bereits in meinem ersten Konstanzer Semester. Nach Rainer Schnell sind aber "Definitionen lediglich tautologische Transformationen auf sprachlicher Ebene". Also Schluss damit und einfach nur die empirische Feststellung: die letzten Wochen, Monate und Jahre in Konstanz waren unglaublich schön!!!
"Sie wohnen also in Konstanz am Bodensee. Warum möchte man da überhaupt weg?" Das war die Einstiegsfrage meines Bewerbungsgespäches bei InnoZ. Doch erst mit der endgültigen Zusage setzte dann ein Gefühl ein, dass Cécile so treffend mit "Bodensee Blues" umschrieben hat. Ab dem Punkt, an dem man weiß, dass man Konstanz tatsächlich verlässt, wird einem deutlich bewusst, was man an Freunden, See und Alpenblick schätzt. Und Sommer am See mit pausenlosen Sonnenschein, macht den Abschied nicht leichter...
Eike, Johannes, Leo und ich haben uns beim Schneewandern vergangenen Jahres die Frage gestellt: Was bedeutet Konstanz für dich? Ich kam zu dem Ergebnis, dass Konstanz für mich der Ort ist, an dem ich sein kann, wie ich bin und werde, was ich bin.
Natürlich wird das in Berlin nicht aufhören. Aber man würde ja auch etwas falsch machen, wenn eine so lange Zeit spurlos an einem vorbei gehen würde. Von der Erstie-Hütte in Blumberg-Achdorf, auf der ich meine heuten besten Freunde kennenlernen durfte, bis zum heutigen Tage sind fast 7 Jahre vergangen. Was hat man sich als Ersti noch für einen Stress gemacht und war unter der Woche trotzdem fast jeden Tag feiern gewesen? Wie aufregend und abenteuerreich war Erasmus? Ausbeutung und Zeit totschlagen im Praxissemster und trotzdem froh darüber erste Einblicke in die Arbeitswelt bekommen zu haben. Und dann die Semester bis zur Bachelorarbeit, in denen dann die meisten gemerkt haben, dass Kurse in der Universität nur einen kleinen Teil des Studiums und des Studentenlebens ausmachen? Die legendäre Abschlussparty im Seerhein, bei der die wichtigsten Personen im Fachbereich mit einem ordentlichen Humba gewürdigt wurden und 20 Kilo Rehrücken aus der Kühlkammer verschwunden sind.
Powalter-Kick in der Kuhmoosarena, Futsal und Trampolinspringen, Unihütte und Skiausfahrten, Glühweinmarkt und Seerheinbiere, endlose Bibsessions, Studieren Ohne Grenzen und das AStA-Verkehrsreferat, Hiwijobs & exzellentere Hiwijobs, Jägerkaserne, Weinproben, Wassersportgelände und Fachschaftsgrillen, montags relaxtes Clubben in der Kantine, Bibi Baum, Mensa-Sharing und Kaffee auf dem Unistrich... Dazu die Möglichkeit Konstanz für lange Auslandsaufenthalte den Rücken zu kehren, wenn man es einmal mehr satt hatte angepöbelt zu werden: "Es isch kei Fahrradweg!"
Immer der gleiche Berg, immer der gleiche Bus ... doch bevor die Universität meine Seele frisst, packe ich all die guten Erinnerungen ein und freue mich Konstanz zukünftig als Tourist zu besuchen. Und sicherlich nicht erst dann, wenn ich mit genauso viele Falten habe, wie der Durschschnittstourist auf der Insel Mainau.
Und in die Liste der guten Erinnerungen reihen sich nahtlos die letzten Punkte meiner to-Do Liste ein:
exzellenter Segelturn (mit Extrapunkten für Skipper Wolfang Seibel)
Seerheinraften (mit Extrapunkten für die unverhoffte Entschleunigung)
EnaKlar II am Taborturm
La Brass Banda in Mersburg
wunderschöne Fahrradtour nach Stein am Rhein
unvergessliche Wanderung durch Appenzeller Oberland mit Wetterkapriolen (Säntis wird überschätzt)
WG-Frühstücke am Seerhein
Christoph Knill am Tischkicker besiegen
dem Klavierspieler an unterschiedlichen Plätzen in der Stadt lauschen
Streetparade in Zürich
Geburtstagsrunde mit sagenhaftem italienienischen Essen und viel Rotwein
- Friseur Dieter Böttcher in "exklusiver Atmosphäre" (Mit Extrapunkten für den offenbar frisch gestimmten Flügel)
- Abschiedsgrillen am Bismarcktum
Zu letzterem Punkt möchte ich euch alle einladen, die in den vergangenen Jahren meinen Weg gekreuzt haben (und noch immer in Konstanz weilen). Ersteres scheint ja in Konstanz nicht so schwierig, letzteres hingegen schon eher *Ironie aus. Am Mittwoch ab 19.00 werfe ich den Grill an und hätte einfach Lust beim Anblick von Ober- und Untersee auf ein baldiges Wiedersehen anzustoßen...
Denn erst wenn der Bodensee Blues sich mit der Ode an den Bodensee vereint, dann ist es wunderschön zu gehen.
Alles Liebe, Richard