Sonntag, 5. März 2017

Übung macht den Meister: Der geskatete Klassikschritt

Es ist eine nationale Angelegenheit. Es ist Schwedens größtes Sportereignis. Ein Volksfest. An den verschiedenen Läufen der Wasalaufwoche nehmen mehrere zehntausend Menschen teil. Highlight ist sicher der 90 Kilometer lange Wasalauf (Vasaloppet), bei dem 16.000 Teilnehmer in der Loipe und 2 Millionen Schweden auf dem Sofa sich der Tradition verpflichtet fühlen.

Der Wasalauf erinnert an den letztlich doch geglückten Versuch die Bürger für den Befreiungskampf zu mobilisieren. Der dänische König in Stockholm war zwar mehr als unbeliebt, doch wollte sich die Bevölkerung dem Aufständischen Gustav Wasa zunächst nicht anschließen gegen Dänemark in den Krieg zu ziehen. Als die Stimmung sich drei Tage später änderte, wird Wasa auf Ski verfolgt und nach 90 Kilometer eingeholt. Sie überreden ihn, zurückzukehren und den Kampf zu leiten. Zwei Jahre später wird Schweden unabhängig und Gustav Wasa König.

Das Ziel der Läufe ist ein Holztor, auf dem steht: „In der Spur der Väter – für die Siege der Zukunft". Tagespolitisch klingt das selbst vielen Schweden eine Spur zu nationalistisch. Trotzdem ist man sich einig, dass jeder Schwede zu mindestens einmal im Leben den Wasalauf bestreiten sollte.

Um ein bisschen in die schwedische Kultur einzutauchen, habe ich mich auch auf die Bretter gestellt.
Neben dem Hauptlauf für ambitionierte Langläufer, gibt es weitere Nebenläufe für ambitionierte Breitensportler. Und solche, die es werden wollen! Für mich gilt eher: Ich habe 30 Kilometer Zeit, um die Techniken des Langlaufens zu erlernen. Für die notwendige Energie soll die Blaubeersuppe sorgen, die einem unterwegs gereicht wird...

Mit einem Bus geht es an den Start. Dort hole ich mir meine Startnummer ab und ziehe mich um. Winterjacke und Stiefel landen in einem Sack, der mit meiner Startnummer beschriftet, auf einem großen LKW landet. Logistisch gesehen funktioniert der Langlaufwettbewerb auf Schnee genauso wie ein Langwettbewerb auf der Straße. Nur das man auf der Straße keine Stöcke braucht....Mist, also renne ich zurück in Richtung Bus. Auf dem Weg dorthin, sagt man mir, dass die Stöcke gefunden wurden und auf dem Weg zur Startlinie seien. Man wünscht mir viel Glück.


Dass ich das zweite Mal auf Langlaufski stehe, lässt sich nicht verbergen. Kurz vor dem Start lasse ich mir sagen, dass es beim Langlauf keinen linken oder rechten Ski gibt. Ich wundere mich über die klebrige Fläche auf meinen frisch gewachsten Ski, die ich in einem örtlichen Sportgeschäft geliehen habe. Doch wegen des Malheurs mit den Stöcken muss ich sofort in den Startblock. Immerhin: Ich kann mich somit unauffällig ganz ganz hinten einreihen, so dass ich niemanden im Weg stehe.



Die ersten Meter sind gar nicht so schwer. Wie am Fließband fallen die Teilnehmer meines Starterblocks auf die präparierten Schienen aus Eis. Auf Youtube habe ich mir Tutorials angeschaut und setze die Füße nach und nach unter Druck nach Vorne. Die ersten Steigungen. Ich achte erstmal darauf, dass ich die Spur nicht wechseln muss. Doch da passiert es schon, von hinten naht ein schnellerer Läufer, ich setze nach rechts über, die Ski verheddern sich und liege mit dem Gesicht im Schnee.

Übung macht den Meister, denke ich mir und rausche bei Kilometer 2 bei der ersten Verpflegungsstation an. Ehrenamtliche Helfer reichen warmen Tee und Wasser. Im Folgenden finde ich langsam ein Tempo und unterbreche nur ungern, um Photos zu machen. Trotz schöner Winterlandschaft im Sonnenschein treibt einen dann doch der Wettbewerbsgedanke. Alles noch sehr wackelig und ich jogge mehr mit meinen Ski als dass ich sie stilvoll durch den Schnee gleiten lasse. Ich nehme gerne Tipps an und lasse mir sagen, dass ich mit meinen Skistöcken etwas besser aufpassen solle. Auf meine Antwort, dass ich das gerade lerne, antwortet mir die Dame kurz angebunden: "Na, dann ist ja gut, dass es dir jemand sagt".

Das sitzt. Ich möchte Land zwischen die Mutti und mir bekommen. Doch auf den nächsten Kilometern überholen wir uns häufiger gegenseitig. Sie hat die bessere Technik, ich habe den schnelleren Antritt. An den steileren Abhängen, habe ich mehr Mut - und stehe vielleicht schneller auf - doch wenig später sehe ich ihr Mütze wieder von hinten. ich beginne beide Stilarten des Langlaufens gleichzeitig zu erlernen: der geskatete Klassikschritt. Links, rechts, beide Stöcke ca. einen Meter vor mir in den Schnee. Dann ziehen...

Kostprobe? Unkonventionelles Langlaufen eingebettet im Werbevideo von Volvo?
https://www.youtube.com/watch?v=UrbtLdOAO_E 

Mit jedem Zug werden die Arme dann schwerer und irgendwann möchte man einfach am Ziel sein. Ich grüße ein paar Gesellen, die sich im Wald ein Lagerfeuer gemacht haben und fröhlich dem Teilnehmerfeld zuwinken. Es wird etwas dörflicher und dann beginnen nach dem vollbelegten Campingplatz die Zuschauerbanden. Für unter drei Stunden hat es nicht gereicht. Aber ich reihe mich ganz schwedengetreu im Mittelmaß des Teilnehmerfeldes ein. Ganz unschwedisch filme ich meinen Einlauf aber mit dem Smartphone, was vom Stadionkommentator lauthals angemerkt wird. Eigentor:
Somit wird etwas zu viel Aufmerksamkeit auf meinen geskateten Klassikschritt - diesmal nur mit einem Stock - gelenkt. Egal - ich bin da und durch.

Christina geht am nächsten Tag an den Start. Ihre Vorbereitung steht meiner nichts nach. Doch getrieben von ihrer Schwester und ihrer Tante, wird sie sich auch keine Blöße geben wollen. Gemeinsam mit unserem Gastgeber verfolge ich den Start des Laufes im Fernsehen. Die Gewinnerin erreicht gerade mit 1,15h die Ziellinie und bekommt einen Kranz um den Hals. Christina startet im hinteren Teilnehmerfeld und so bleibt viel Zeit, um den Mora zu erkundigen:



















Bald drauf tracke ich Christina ein paar Kilometer vor dem Ziel. Kurz vor der Ziellinie bekommt sie einen Kranz von mir. Sie hat es auch geschafft! Und ist geschaftt. Gemeinsam freuen wir uns, dass die 30 Kilometer hinter uns liegen. Für mich gilt: Man lernt nie aus. Den Kurs "Langlauf für Fortgeschritte" dann auf 90 Kilometer?!

Heja! Heja!