Freitag, 26. Oktober 2018

Made in Wo?

Wo wurden eure Spielzeugautos produziert? Prägung ROC (Republic of China) oder Made in PRC (People’s Republic of China)? Und war man nicht schon damals verwirrt, dass das eine China eigentlich “Made in Taiwan bedeuten sollte?

Knapp 30 Jahre später taucht Taiwan auf meinem Reiseradar auf. Zeit, um dem Geheimnis der Spielkiste auf den Grund zu gehen. Zeit, um den Spielteppich gegen einen richtigen Autoschlüssel zu tauschen. Zeit, um zu erkunden, wie es um die Prägung dieses Landes tatsächlich bestellt ist. #ZeitfürTaiwan.
Mit Ankunft in Taipeh müssen wir feststellen, dass das mit dem Mietauto leider nicht klappt. Keine ITP (Internationale Driving Permit) = kein Autoschlüssel. Aber man versichert uns, dass Taiwan ein hochmodernes und effizientes Verkehrssystem hat und wir keine Probleme haben werden, in alle Ecken der Insel zu gelangen.


Wir beginnen unsere Reise in Taipeh. Taipeh ist nicht nur groß und modern, sondern auch extrem sauber und effizient. Hightech ohne Hektik - die Dinge scheinen einfach zu funktionieren. Trotz der langen Anreise ziehen wir gleich über den Nachtmarkt ins Nightlife. Am nächsten Tag lassen wir uns treiben. Im einem Park bereiten sich Jugendliche auf einen Tanzwettbewerb vor und es überrascht, in welcher Selbstverständlichkeit die Eingangshallen des Nationaltheaters und der Konzerthalle in Beschlag genommen werden. Ein Steinwurf weiter wacht die taiwanesische Nationalgarde über die Gedenkstätte jenes Mannes, der das Schicksal Taiwans bestimmte: Chiang Kai-Shek. Wir lernen, dass das Eingangstor nach Südwesten auf die Kunlun-Berge Chinas ausgerichtet ist und den Traum von Chiang Kei-Shek symbolisiert, eines Tages das Festland zurückzuerobern.


Träume sind Schäume, sagt man. Doch lüftet sich an dieser Stelle das Geheimnis der Spielzeugkiste. Auch wenn Taiwan über die Landmasse und den internationalen Einfluss von Baden-Württemberg verfügt, so pflegt man den Anspruch, die legitime Vertretung aller Chinesen darzustellen. Staatsrechtlich anerkannt ist (mittlerweile) nur das China auf dem Festland. Doch Taiwan sieht sich als die wahre Seele Chinas. Wer tatsächlich Souveränität über die Insel Taiwan ausübt, wird kontrovers diskutiert.


Beeindruckend dabei ist das Wertesystem, auf dem Taiwan seinen Anspruch fußt. Als geglückter Gegenentwurf stellt man sich dem Festland selbstbewusst entgegen und betont, dass die wahren Chinesen kein Wertesystem haben, in welchem individuelle Freiheiten und Grundrechte eine geringere Rolle als im Westen spielen. Die erfolgreiche Transformation in eine Demokratie und in einen liberalen Wohlfahrtsstaat zeige, dass man das bessere China ist. Man ist stolz auf die Demokratie und das Parteiensystem, auf Presse- und Meinungsfreiheit, auf das Bildungssystem und die lebendige Zivilgesellschaft. 


An dieser Stelle erreicht mich Nachricht über die #Unteilbar-Demonstration in der Heimat. Auch bei uns werden die Mächte stärker, die die offene und freie Gesellschaft bedrohen. In Taiwan kämpft man für Demokratie und Freiheit, um sich gegen das „Ein-China-Prinzip“ des übermächtigen Nachbarn zu wehren. Ein Demokratieverständnis, das die ökonomische und gesellschaftliche Überlegenheit eines demokratischen Systems gegenüber autoritären Entwicklungsmodellen herausstellt, sollte bei uns selbstverständlich sein. Dass sich eine Gesellschaft unteilbar an die Demokratie bindet und Demokratie als Mittel der Notwehr begreift, finde ich beeindruckend.

Made in Taiwan steht nach dieser Reise nicht mehr für den Stempel der Spielzeugschmiede meiner Kindheit. Made in Taiwan steht fortan für ein liberales Selbstbewusstsein, für Würde und Gelassenheit, und für ein gesellschaftliches Modell, wie man den aktuellen politischen Krisen begegnen soll.

Nebenbei ist Taiwan wohl eines der unterschätzten Reisezielen in Asien. Wenn man die Städte verlässt, dann findet man naturbelassene Landschaften. Zu empfehlen ist der Nationalpark Taroko sowie die Steilküsten von Cingshuei. Und wer beim Whalewatching leer ausgegangen ist, der sollte sich einen Roller schnappen und den türkisschimmernden Pazifik im Auge behalten. Free Willy Momente garantiert.

 













Mit dem Zug geht es von der Ostküste dann wieder in die Hauptstadt. Dort geraten wir durch Zufall zur typischen Lieblingsbeschäftigung der Asiaten: Dem Karaokesingen. Als beim ersten Getränk unser Rückgeld direkt als Service-Fee in die Taschen der Türsteher wandert und wir uns schon wundern, warum die Frauen hier lustiges Plätzetauschen spielen, hat ein Kellner offenbar Erklärungsdruck. Er zuckt sein Handy und lässt uns per Google-Translator wissen, dass die Besitzerin vom Festland sei. Er erklärt uns das "Geisha"-Prinzip" der Bars. Er möchte uns unter der Hand das Rückgeld geben. Die Situation scheint ihm unangenehm. Wir winken ab und freuen uns über den Anstand und die Ehrlichkeit. Wenig später werden wir von zwei Geschäftsmännern in einen Raum mit tiefen Sofas und einem Couchtisch eingeladen. Auf einer Leinwand laufen Musikvideos. Auf einem Computer können die Songs ausgewählt werden. Christina und ich sollen ein Lied wählen und singen. Die Auswahl der nicht-chinesischen Songs ist limitiert, doch zum Glück findet sich "Imagine" von John Lennon. 

Als wir fertig sind, klatschen die Herren höflich. Die Damen schenken uns Bier und Whiskey ein und bekommen von den Herren jeweils 100 Taiwandollar zugesteckt. Wir versichern uns kurz, dass hier nicht unseretwegen Schmerzensgeld fällig wurde. Man lacht. Dann wird gewürfelt. Die Dame gewinnt. Der Mann muss trinken. Und gibt ihr anschließend wieder 100 Taiwandollar. Auch wir werden aufgefordert: Gan bei (=trockne das Glas!) und dann wird das nächste Lied gesungen. Je länger der Abend desto mehr Scheine wandern von dem Tisch in die Taschen der Hostessen. Wir lauschen noch ein paar schmalzig asiatischen Popliedern, bedanken uns für den unterhaltsamen Abend und kehren zurück in unser Hostel. Ich glaube tatsächlich, dass der besinnliche Sangesabend der Herren nicht zwangsläufig auf einer Matratze im Hinterzimmer endet. Auch wenn es uns ein wenig befremdlich ist: Das ist ganz einfach Abendunterhaltung made in Asia. Egal ob Insel oder Festland.

Wir verlassen Taiwan und fliegen nach Hongkong. Vor 20 Jahren wurde die britische Kronkolonie an China zurückgeben. Der zunehmende Einfluss auf die teilweise autonom regierte Metropole wird in Taiwan genau verfolgt. Unser Fokus liegt aber auf der Hochzeit von Jen und Alex, deren lange Fernbeziehung sich in einem Happy-End krönt, und mit denen wir zu diesem Anlass ein paar Gläser trocknen wollen.
 
谢谢!Oder xiè xiè! 
Richard