Man reist ja nicht um anzukommen, sondern um zu reisen. Johann Wolfgang von Goethe
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Mittwoch, 2. November 2011
You are so European!
Liebes Nicht-Amerika,
wenn ich wie jeden Morgen mit meinem roten Drahtesel über den Campus düse, mit einem Schal um den Hals und einem Becher frischen Kaffee in der Hand, genieße ich Sonderstatus. Was in Konstanz und Freiburg das normalste auf der Welt ist, wird hier hier eher dem rechter Rand des Hipster-Daseins zugeordnet.
Während meines Erasmusjahres in Istanbul habe ich vieles dafür getan, dass ich nicht sofort als Ausländer erkannt werde. Anstelle eines praktischen Rucksacks, habe ich Plastiktüten zur Uni getragen, anstelle eines praktischen Geldbeutels habe ich die Münzen und Scheine lose in der Tasche gehabt. Und ich habe mich diebisch gefreut, als ich die ersten Male auf türkisch nach dem Weg und der Uhrzeit gefragt wurde.
In Chapel Hill hingegen, kaufe ich mir eine Jacke für 160$ weil sie so wunderbar nicht-amerikanisch aussieht und verliere eine Wette, die mich zwingt für einen Tag im typischen Sportschuhe-Minihose-TarHellPulli-Outfit eines typischen Undergraduatestudenten herumzulaufen.
Hier strahle ich, wenn meine amerikanischen Freunde einmal mehr sagen: Richard, you look so European!
Übers Wochenende hat mich Richard aus Grenoble in Chapel Hill beehrt. Neben ausgelassener Feierei (ist eigentlich falsch, denn wir haben nichts ausgelassen), hat Richard auch die Verrücktheiten des amerikanischen Studentenlebens erlebt. Und es ging ihm genauso wie mir:
Wäre es "exotisch", würde man es spannend finden, würde man sich kein Urteil erlauben (wollen), würde man es als außergewöhnlich betrachten. Aber man ist doch in irgendeiner Form sehr vertraut mit der Kultur. Oder doch nicht? Was verbindet uns eigentlich mit Basketballhallen (so groß wie das Dreisamstadion in Freiburg), mit Foodballstadien (fast so groß wie die Allianzarena in München), mit Tailgateparties (BBQ auf dem Parkplatz) und mit Halloween??
Eigentlich nicht viel. Und trotzdem ... warum fällt es hier so leicht eine Meinung zu vielen Dingen zu haben?
Urteilen wir nicht automatisch, weil uns die Kultur so vertraut erscheint? Unterscheiden wir uns also? Wir, die generalisierten Europäer von dem generalisierten Amerikaner? Und wenn ja, worin?
Ein paar Gedankengänge, die wir am Wochenende hatten und die an anderer Stelle weiter ausgeführt werden sollen:
- Gesellschaftliche Toleranz - globale Ignoranz?
- Der Glaube das alles möglich ist, auch im negativen Sinne?
- Ein anderes Kategoriedenken: Während in Amerika in gut und böse unterteilt wird, fragen wir nach der Legitimität?
- Warum haben Bequemlichkeit und Geschwindigkeit einen höheren Stellenwert als Geschmack und Genuss?
Man findet findet ja nicht alles albern, doch wäre man manchmal einfach gerne unvoreingommen.
Aus sicherer Quelle wurde mir zugetragen, dass die Aussage "Du küsst so europäisch" eine zuträgliche Ausbeutung der Andersartigkeit darstellen kann. Ich prämiere sie hiermit zur cheesiest pick-up-line...
A propos cheese.... Bald gibt es einen Film über mich und meine erste Halloweenerfahrung.
Liebe Grüße,
Richard Anders