Das Ergebnis vorweg: Es ist sehr sehr Neiß hinter der Oder!

Der zweite Roadtrip durch Polen; über Stettin an der Ostsee entlang nach
Danzig. Und weil Shila sich im Vorfeld die Grundregeln des Gesellschaftsspiels
Skat aneignen konnte, Joachim im desolaten Gesundheitszustand trotzdem mitfährt,
Tim im Vorfeld wieder einmal großartige Herbergen gefunden hatte und mit
Reiseliteratur, Snacks und guter Musik das Mietauto schnell zum fünften
Reisegenossen wird, kann es ab Abfahrt eigentlich nicht besser werden...

Dies soll sich bei Ankunft in Szczecin (Stettin) schlagartig ändern: "Bier, ich
brauche jetzt unbedingt Bier!" Um Shila diesen Wunsch erfüllen zu können,
braucht es aber erstmal eine Bank. Und als die ersten Zloty schließlich den Automaten
verlassen, haben wir bereits die Fregatten im Hafen und die Hakenterasse
passiert. Weil nach dem Krieg die baulichen Lücken des alten Stadtbilds eilig
mit funktionalen Bauten gefüllt wurden, sucht man in Stettin vergeblich nach
einem historischen Zentrum. Egal, wir
machen die Künstlerkneipe Kanar zum Zentrum unserer ersten Skatrunde.
"Blitzkrieg", "keine Grenze", "Panzerfaust"
und "Pergamonmuseum"...der Wortschatz des Taxifahrers, der uns in die
Fress- und Ausgehmeile fährt, ist abwechslungsreich. Ich revanchiere mich und
wünsche ihm auf Polnisch "einen leckeren Blumenkohl". Dann bezahle
ich. Die Skatrunde findet an diesem Abend noch mehrere Verlierer, wir die
Schwester von Luis Suarez und der letzte Taxifahrer schließlich unsere
Herberge.
Tag 2 beginnt mit einem frühen Mittagessen in einem polnischen Restaurant am
Straßenrand. Man(n) stärkt sich für die Weiterfahrt. Frau hingegen entwickelt
im Stillen die Spielregeln für SSDS (Shila-sucht-den-Superstorch). Die
männlichen Reisegenossen haben es in dieser Hinsicht einfacher: Da die
Diskrepanz zwischen der Schönheit Männer und der der Frauen sehr ausgeprägt
ist, wird - in Anlehnung an Pep Guardiola - fortan nur noch unterschieden in:
Eine super Frau, eine super-super Frau, eine super-super-super Frau, ich möchte
tausend dieser Frauen haben. [Und sie auf die Ersatzbank setzen].
Angekommen in Kolberg (Kolobrzeg) sehen wir vor lauter Bäumen den Strand
nicht. Auf der Fußgängerpromenade flanieren wir Richtung Wasser und die
jodhaltige Seeluft entfaltet ihre Wirkung: Auch bei Shila kehrt der Appetit
wieder. Auf dem weißen, feinkörnige Sand reihen sich Strandmuscheln, Windfänger
und Strandkörbe dicht an dicht aneinander. Das Rauschen des Meeres und die
Klänge der Freiluftmusiker sowie der Beat von Radio Fama bringt uns dann
in ein kleines Fischerdörfchen, mit dem Namen Lazy. Wir können nicht anders.
Weiterfahrt unmöglich. Daher aussteigen und kurz an den Strand. Lazy ist
wortwörtlich eine Sackgasse und so raffen wir uns auf, um weiter nach Rügenwald
(Darlowo) zu fahren, wo die berühmte Teewurst ihren Siegeszug gen Deutschland
startete. Ein wunderschönes Örtchen.
Wer Polen kennen lernen möchte, muss weiter fahren als zum Polen-Bazar
hinter der Grenze von Frankfurt Oder. Und wir erreichen am Abend Danzig.
5 Minuten im Badezimmer reichen Shila locker aus, um die erste Nacht in
Angriff nehmen zu können. Wir treffen Magda am Neptunbrunnen und sie führt
durch die historischen Ecken der Hansestadt, der es erlaubt sein sollte, als
erste Stadt mit doppelter Staatsbürgerschaft werben zu dürfen. Die Fassaden der
prächtigen Kaufmannshäuser sind beeindruckend. Selbiges gilt für die weiblich
dominierte Kundschaft in den Cafés und Kneipen, die sich für das Wochenende in
Schale geworfen haben. „Jungs, bekommt mal eure Blicke in den Griff“ zischt
Shila und lenkt unsere Augen
auf die
größte Kirche der Welt* (*in der Kategorie: Backsteinkirchen, erbaut zwischen
dem 13.-15. Jahrhundert, katholisch). Magda stattet uns noch mit Ausgehtipps
aus und lädt uns zum gemeinsamen Fußball schauen (Polen – Georgien) in einem modernen
asiatischen Restaurant ein. Dann muss sie nach Hause.
Wir wechseln schnell das Restaurant und tauschen trash-touristisch in
polnisch-rustikal. Bei Bier und Skat schmieden wir Pläne für den nächsten Tag:
Ausschlafen, Frühstücken (Mittagessen), Kirchturm besteigen, Günther
Grass-Ausstellung, am Wasser Eis essen, durch die Stadt schlendern, das
Europäische Zentrum der Solidarność besuchen, Magda zum Fußball treffen. Klingt
nach einem perfekten Programm für morgen, doch der Abend ist ja längst nicht zu
Ende.
Wir fragen uns zum Café Absinthe durch, offenbar die heißeste Aktie im
Danziger Nachtleben. Der DJ hat gewisse Ähnlichkeit mit MC Fitti und beschallt
den relativen kleinen Raum, der hoffnungslos überfüllt ist. Bis zum
Sonnenaufgang tanzt man daher auch auf den Tischen.
Der erste Punkt „Ausschlafen“ stellt sich als relativ leicht machbar heraus, dauert nur etwas länger als
angepeilt. Wir müssen das Programm anpassen. Schnell sind wir uns einig: „Wir sind
in Polen, wir müssen unbedingt das asiatische Restaurant verhindern!“ und
frühstücken Knedel, Frittky, Ryba, und Kapusta, um anschließend die 400 Stufen
des Kirchturms zu erklimmen.

Schmuckkästchen Danzig. Nach dem Zweiten Weltkrieg total zerstört, dann
wieder aufgebaut und rekonstruiert und spätestens seit dem Beitritt zur
Europäischen Union strahlen die Fassaden goldverziert in allen möglichen
Farben. Von oben erkennen wir die Giebelhäuserzeilen, in deren Gassen sich
nachts betrunkene Burschen wortlos schlägern und tagsüber Schmuck und Bernstein
angeboten wird.

Wir verlassen das touristische Stadtzentrum und
gehen ein paar Minuten in Richtung der rostigen Kräne der ehemaligen
Lenin-Werft.
Hier entflammte im Sommer 1980 die
regimekritische Streik-Bewegung Solidarność. In dem interaktiven und vollnavigierten
Museum führt uns der Audioguide durch die Geschichte der Solidarność-Bewegung
und stellt dar, wie ihr Anführer Lech Wałęsa (nicht Walesa) und seinen
Werftkollegen den polnischen und schließlich den europäischen Kampf um die
Wiedergewinnung der Freiheit geprägt hat.
Beim wortwörtlichen 3-Gänge Menü ist vor dem Gang nach dem Gang. Polens Sieg
über Georgien feiern wir bei der Vorspeise in einem kleinen Diner. Danach gehen
wir zur Hauptspeise in einen Laden, der in Deutschland unter dem Namen
„Tolle-Knolle“ auftauchen würde. Dort treffen wir auch Magda wieder, die uns
Nachtisch mitbringt und darauf besteht, dass wir das nächste Mal länger in
Danzig weilen! Sie würde lieber mit uns feiern gehen, als am Schreibtisch
Examen ihrer Schüler zu korrigieren.
Hingegen hat sich ein möglicher Schüler von ihr wohl etwas zu sehr über das
Fußballspiel gefreut und hält ein Nickerchen auf unserem Tisch. Wir versprechen
seinem Freund, dass wir uns, solange wir da sind, um ihn kümmern werden. Das
tun wir auch bis sein Magen entscheidet: Vollräumung - alles muss raus. Er wird
in aller Seelenruhe vor die Tür gesetzt. Als wir die Kneipe verlassen, rutscht
er gerade vom Stuhl. Er hat Glück: Meine Hand findet reaktionsschnell den Weg
zwischen Kopf und Bordsteinkante.
Mit
der „lebensrettende Tat“ imponieren wir im Café Absinthe; dem Geretteten wird
der Schädel nach dem Aufwachen so oder so höllisch wehtun.
Kopfschmerzen bereitet uns am nächsten Tag auch ein Radrennen, das uns in
die wohnlichen Viertel von Danzig zwingt, ehe wir die Autobahn erreichen. Dann
ist aber Bleifuß angesagt; der Asphalt brennt (Das Asphaltthermometer zeigt bis
zu 60 Grad?!). Am Ende wird Joachim rechtzeitig zum Manu Chao Konzert zurück
sein und ich* resümieren:
Polen ist ein super super super Land!
[*Und in diesem Falle gilt
ausnahmsweise: wenn ich mich meine, spreche ich von uns…]. Die nächste
Polenreise ist auf jeden Fall wieder angestrebt: Über Krakau, nach Warschau bis
Danzig! Und mit mehr Zeit!
Bis Dann-zig, Richard