Montag, 23. November 2015

Kopfsache

Auf das was kommt, möchte der Kopf gerne vorbereitet sein. Vor einer Reise schaut man eine Dokumentation, liest in die Reiseführer rein und holt sich Tipps von Freunden, die schon mal da gewesen sind, ein. Der Kopf bekommt einen ersten Eindruck vom Zielland.

In Mumbai stehe ich wenig später am Schalter. Ich möchte ein Zugticket buchen. Die Dame am Schalter wackelt schon bei meinen ersten Worten mit dem Kopf. Davon unbeeindruckt führe ich fort. „No problem!“, meint die Dame nachdem ich meinen Satz beenden habe.
                      
„Wunderbar!“, denke ich und gebe ihr Jodhpur als Zielort an. Sie wackelt erneut mit dem Kopf. Diesmal energischer. Ich bin verwirrt.  Ich wiederhole den Zielort und vergewissere mich, ob ich hier ein Zugticket kaufen kann. Ihr Kopf wandert wieder von links nach rechts und wieder zurück. Was heißt das jetzt? Ja? Nein? Vielleicht?

Auf meinen fragenden Blick fügt sie schließlich hinzu, dass ich einen Schalter weiter solle und zeigt nach links. Dort sagt man mir, dass der Zug ausgebucht sei und man uns auf die Warteliste schreiben könne, wenn wir zwei Dokumente ausfüllen würden. Wie wahrscheinlich es sei, mit Wartelistenplatz 115 noch ein Ticket für den morgigen Zug zu bekommen, frage ich. Der Beamte wackelt mit dem Kopf und führt dann knapp aus: „Everything is possible!“.

„Prima, das hilft mir weiter“, denke ich und bedanke mich mit Namaste. Das heißt so viel wie „meine Seele grüßt deine Seele“ und wird als alltägliche Begrüßungs- und Verabschiedungsformel verwendet. Dabei wünschte ich mir, dass Sie mein ernstes Anliegen doch noch erkennt. Vergebens.

Die kommunikativen Schwierigkeiten werden nämlich noch verstärkt. In der gesprochenen Kommunikation sticht vor allem der Satz: „No problem!“ hervor. Scheinbar gibt es in Indien keine Probleme, sondern nur Lösungen. Hinzu kommen Zeit und die Gewissheit, dass das Problem sich auch von selber lösen kann.

Wie das Kopfwackeln ist „No Problem!“ eine kommunikative Allzweckwaffe. Es spiegelt die indische Kunst nicht eindeutig zu sein, sich alles offen zu lassen. Denn am Ende klappt es meist doch. Oder auch nicht. In Indien geht alles, es gibt alles, davon zu viel und alles gleichzeitig.

Mir kommt es vor, als dass in Indien (m)ein Problem als solches gar nicht wahrgenommen wird. Das kostet mich zwar manchmal Geduld und stiftet häufig Verwirrung.
Ist der Kopf aber darauf einmal eingestellt (Tipp: Echtzeitstrategie!), findet man einen reizvollen Weg dem wunderbaren Land Indien zu begegnen! Dann ist es pure Entschleunigung, denn was passiert, passiert. No Problem! Einfach mitmachen. Einfach die eigene Ungeduld ablegen. Und dann öffnet sich einem dieses faszinierende Land ganz automatisch.

Problems in Indien? – Kopfwackel, Kopfwackel ­– No Problem!



Richard




Montag, 9. November 2015

Istanbulcim...

Istanbulcim!

auch Du wächst mit der Zeit! Als der Havas durch Tarlabasi in deine Mitte (Taksim) steuert, mache ich mich langsam zum Aussteigen bereit...aber dann stoppt der Bus plötzlich und ich werde aufgefordert, mich zu beeilen. Ich soll hier aussteigen? Wirklich, hier schon? Nee, ihr fahrt doch noch ein Stück? Bis Taksim ist doch ein Stück? Hier? Hier ist doch viel zu gefährlich?

Ich steige als hier aus. Hier beginnt eigentlich Tarlabasi, nicht gerade ein Stadtteil, in den man gerne bzw. überhaupt geht. Ich muss aber feststellen, wo vor ein paar Jahren noch Räuberhölle war, stehen Luxusgebäude. Und als ich um die Ecke biege, erblicke ich eine moderne Straße mit Restaurants, die nicht älter als zwei Jahre sein können, und mit englischen Speisekarten auf Gäste warten. Dann laufe ich zum Taksim Square. Kein Taxi hier? Und die Busstation der Linienbuse auch verschoben?
Wow, ich bin ein wenig geschockt. Mit so viel Wandel hatte ich nicht gerechnet.

Ich treffe meinen AirBnB-Host. Mia verrät mir, dass Sie über AirBnB ein bisschen Geld verdient, um sich die gestiegenen Mieten in Cihangir überhaupt leisten zu können. Man nenne es in der Türkei: Gentrifiçation... Ich hole die Flasche französischen Rotwein aus meinem Rucksack und frage, ob sie einen Schluck "köpek öldüren" möchte. Sie lacht, holt Gläser und meint, dass sich daran nichts geändert hätte, türkischer Wein sei weiterhin primär zum Kochen gemacht.

Nachdem Christina eingetrudelt ist, stürzen wir uns ins Nachtleben. In den Clubs läuft türkischer Pop. Und jedes, wirklich jedes Lied wird lauthals mitgesungen. Ich bin immer ganz stolz, wenn ich Tarkan erkenne. Nach einigen Bier verabschieden Christina und ich uns mit Küsschen von Gästen und Servicepersonal. Noch ein Bier auf meiner Lieblingstreppe. Auf dem Bospurus ziehen Nachts große Tanker Richtung Schwarzes Meer und die asiatische Seite ist hell erleuchtet. Ich habe mich wieder einmal in Dich, Istanbulcim, verliebt...

Christina meinte, dass sie gespannt sei, wie ich in der Türkei agieren werde. Nach kurzer Zeit fällt mir auf, dass mein türkisches Vokabular aus dem Hinterhirn ins Gedächnis rutscht, und dass das, gepaart mit ein paar Gestiken, ausreicht, Christina in ihrer Überzeugung zu bestärken. Da steckt ein bisschen Türkei in mir. Wenig später widerfährt Christina ihre erste Niederlage beim Tavla spielen. Es packt sie der Ehrgeiz. Es folgt Tee, Tee, Revanche, Tee, Revanche, Tee.... und sieh da: Sie fängt türkisch zu fluchen an und hat sich wohl auch von Dir infizieren lassen...

Dann verlassen wir Dich zeitweilig. Mit dem Nachtbus geht es nach Göreme, Kapadokien. Ein bislang weißer Spot auf meiner türkischen Landkarte. Warum? Das weiß was ich selber nicht so genau. Jeder, der da gewesen war, hat schwärmend erzählt. Nicht zu Letzt stammen aus Kapadokya, die Bilder,mit denen die Türkei bei Tourismessen oder im Fernsehen wirbt. Zu Recht!

Die Täler um Göreme (der versteckten Stadt) sind wirklich faszinierend. Vulkanstein, vom Winde geformte Kalkformationen, Höhlen, in denen Wandmalereien auf christliche Kirchen im 12. und 13. Jahrhundert schließen lassen, ja sogar eine ganze Stadt im Untergrund. Das Gebiet um Göreme ist seit 1985 Weltkulturerbe.


Doch das eigentliche Highlight sind die im Sonnenaufgang aufsteigenden Heißluftballone. In Göreme gibt es 350 ausgebildete Ballonfahrer, Sofern es die Windverhältnisse zulassen - und das ist fast jeden Tag der Fall - starten früh morgens ca. 200 Stück. Wir stehen auf dem Viewing Point und sehen, wie bei den Kaminfeen und in den Täler sich die Seidenhüllen der Ballone in pralle Leuchtkugeln verwandeln. Noch ist es dunkel, doch die ersten Ballone steigen schon auf. Ab und an glüht ein Ballon auf. Und als die Sonne dann durchbricht, sind alle Ballone in der Luft. Ein Meer von bunten Kugeln am Himmel über einer märchenhaften Vulkanlandschaft. Es ist still. Es ist einfach wunderbar... 


Nach dem wir uns einen Tag mit einem Bus und eine Guide haben rumfahren lassen, liegt mir viel daran, am nächsten Tag auf eigene Faust loszuziehen. Durch die Täler wandern wir in einen benachbarten Ort, dessen Mitte eine Festung prägt, von der früher Brieftauben in die versteckte Stadt geschickt wurden, um die Bevölkerung vor Eindringlingen zu warnen. Und weil das Essen, das dort für uns vom Einkauf bis zum Abdecken exklusiv für uns präpariert wurde, möchte ich dem Restaurant zurufen; Eline saglik! Gesundheit für eure Hände [auf das Sie allen, die diesem Tipp folgen, eine genussvolle Mahlzeit bereiten werden]!

In Istanbul erkennt die Mutter von Tunc das Taxi, das verzweifelt die angegebene Adresse sucht. Jetzt fehlt nur noch der Simitci (Simitverkäufer) und das türkische Frühstück ist in kürzester Zeit angerichtet. Ah, da ist er ja….
Schließlich liest uns die Oma von Tunc die Zukunft aus dem Kaffeesatz. Ich werde reich und werde eine glückliche Ehe führen, in 3 Wochen, 3 Monaten oder 3 Jahren. So genau ist die Prognosefähigkeit des Kaffeesatzes leider nicht.

Dass wir später Imbrahim, den Fischer treffen werden und  über den Nachmittag hinweg es immer wieder an der Angel zappelt, hat sie so nicht vorhergesehen. Und trotzdem möchte Sie uns den Fisch rakigerecht zubereiten, denn das gehört halt einfach so. Und dann haben wir gegessen, getrunken, gelacht, getanzt und Dinge erzählt, die den Tisch nicht verlassen. Kurz: Wir haben Raki gemacht. Und am nächsten Tag mit Deniz auf Campingstühlen am Meer gefrühstückt. 


Istanbulcim! Diese Selbstverständlichkeit mit der du einen aufnimmst und die allseits entgegengebrachte Gastfreundschaft faszinieren mich immer wieder aufs Neue...Wir zwei nochmal für länger vereint?! Ich könnte mir das durchaus vorstellen. Du beeindruckst mich immer wieder aufs Neue.