Sonntag, 22. Oktober 2017

Deutungshoheit


„Schreibe auf, was du gesehen und gehört hast“, sagt Ewa zu mir, „einfach aufschreiben und nicht werten“. Wir sitzen im Bus. Hebron wirkt nach.
Wir wissen beide, dass dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt ist. Die Eindrücke, die man gewinnt, wenn man ein kleines Stück Alltag und die Zustände in Teilen Palästinas (mit-) erlebt, lassen einen nicht neutral sehen.



Die Grundzüge des scheinbar unlösbaren Nahost-Konflikts sind landläufig bekannt; die Zustände in der Westbank und die Situation der Palästinenser häufig angeprangert. Das alltägliche Geschehen in den besetzten Gebieten bleibt aber durch ein gesellschaftliches und mediales Bleichglas schwer einsehbar. Eine Vernebelung, die verhindert, dass ein ausgeklügeltes Besatzungs- und Rechtssystem gebührend thematisiert wird und dazu führt, dass sich der Status Quo jeden Tag ein wenig mehr Unrecht und Ungleichheit schafft. Ein Unrechtssystem, dass sich aus wirtschaftlicher und militärischer Stärke speißt. Ein System, das aus einem historischem Schuldbewusstsein eine stummwiderliche Duldung erfährt. Wie absurd, dass man sofort eine Frage im Kopf hat: Darf ich das äußern? Und ist das nun antisemitisch? Dabei geht es um Ethik und darum, dass bei Menschenrechten nicht unterschieden werden darf, für welche Menschen sie gelten….

Wir haben uns mit einem 17-jährigen Soldaten unterhalten. Noch eineinhalb Jahre muss er im 4-8-4 Takt einen Zustand verteidigen und tun, was ein Soldat in seiner Freizeit halt so macht (Joggen, Schlafen, Gewehr putzen). Er hat nicht nur ein zwangloses Verhalten zu seiner Waffe, seine Augen leuchten, als er mir erklärt, was man damit alles machen kann. Er möchte später in einer Sicherheitsfirma arbeiten und mehr Geld als beim Militär verdienen. Die Siedler findet er nett, denn sie bringen im Sommer kühle Getränke vorbei. Ich denke mir die ganze Zeit: „Kann der naive Junge nicht erst mal eine Universität von innen sehen, bevor er hier weitere Lebensplanungen anstellt?

Unweit von ihm ist ein israelischer Kontrollposten eingerichtet: Kameras, Lautsprecher, eiserne Drehtüren, durch die immer nur eine Person durchgelassen wird. Eine ganze Menschentraube wartet darauf, dass eine Hand die nächste Person durchwinkt. Im Häuschen sitzen junge Menschen, die Befehle ausführen. Junge Menschen, die es nicht besser wissen als gehorsam zu sein.

 

Wir hören von nächtlichen Einsätzen der Soldaten. Wir hören von den Notwendigkeiten von Mitternachtsrazzien, um Präsenz zeigen und den Bestand prüfen. Wir hören von rechtsfreien Sektoren, die parallel zu den palästinensisch kontrollierte Zone H1 und die israelisch kontrollierte Zone H2 existieren. Wo ein Kläger, dort kein Richter. 

Wir sehen die verrammelten Eintrittstüren und die geschlossenen Läden in der Altstadt. Wenige Palästinenser trotzen den Umständen und verkaufen ein ihre Waren in der Hoffnung auf ein bisschen Einkommen. Die Straßen sind leer. Ein paar wenige Siedler haben sich unter dem Schutz von tausenden Soldaten auf den arabischen Häuser niedergelassen. Müll hat sich in den Gittern verfangen, die sich über die Gassen spannen. Man berichtet uns, dass neben Abfall auch Flüssigkeiten aus den Fenstern geschüttet werden. Die Soldaten würden dem „Treiben der Siedler“ kein Einhalt gewähren. Die Verzweiflung ist greifbar.

Hundert radikale jüdische Siedler, hermetisch abgeschottet und geschützt von einigen Tausend israelischen Soldaten. Die Innenstadt ist in Sektoren unterteilt: Da sind Straßen, auf denen Juden fahren, Araber nur zu Fuß gehen dürfen. Manche Gassen sind für Siedler passierbar, für Palästinenser aber komplett gesperrt. Du befindest dich in einem UNESCO-Weltkulturerbe und Israel kritisiert die Entscheidung als "Fake History". Es sind richtig viele Eindrücke, die in Hebron auf mich niederprasseln. 
 
Dies ist keine neutrale Beobachtung. Ich bin froh, dass ich einen tiefen Einblick in den Alltag der Palästinenser in Hebron bekommen durfte. Es ist ein innerisraelischer Konflikt, einiger weniger, darum, wie weit man gehen soll, um dem zionistischen Ideal zu entsprechen. Die Mehrheit toleriert diese Debatte. 

Bei allen unlauteren Mitteln, die sich in ein Rechtsgewandt hüllen lassen, bei allen wirtschaftlichen Interessen die bei Fortführung dieses Zustands profitieren, bei allen politischen Konflikten, um die Bedeutungshoheit des religiösen Ideals, sollte man nicht vergessen: dieser israelische Konflikt wird auf dem Rücken der Palästinenser ausgetragen, die unter der Last brechen.

Die Vorstellung, dass die Kontrolle der besetzen Gebiete diene einzig und alleine dem Schutz der Bürger des Staates Israels ist falsch. Die Siedler finden im Militär Eingang in die große Politik und sorgen dafür, dass sich der Zustand mit nötiger Vorsicht immer weiter nach rechts verschiebt.

Dies ist keine Beobachtung, sondern dies ist ein Appell an die moralische Aufrichtigkeit im scheinbar unlösbaren Nahost-Konflikts. Seid die positive, kritische und demokratische israelische Gesellschaft, die ihr wiederspiegelt! Überlasst den Siedlern und dem Militär nicht die Deutungshoheit! Seid die Mehrheit.

Sonntag, 10. September 2017

Inka-weit, Inka-steil und Inka-gut!

Überfüllt und überteuert – das trifft meiner Meinung nach auf die meisten weltbekannten Touristenattraktionen zu. Auch Machu Piccu bildet hier keine Ausnahme: Im Minutentakt werden die Touristen in klimatisierten Busen bis zum Eingangstor hinaufgekarrt, um dort aus ihren Grundbedürfnissen Kapital zu schlagen. Man untersagt, Getränke und Speisen mitzubringen und reicht zu horrenden Preisen Wasserflaschen gegen die brütende Hitze. Die in Reisegruppen organisierte Menschenmassen hält dies aber nicht davon ab, sich beim Selfi-machen gegenseitig im Weg zu stehen und scheuhklappentreu dem Rundgang in Richtung Ausgang zu folgen.

Kurz um: Machu Piccu stand in meiner Gunst nicht wirklich weit oben… Allerdings habe ich eine smarte Freundin und Christina hat ihren Wunsch des Besuches der sagenumworbenen Inka-Stadt einfach an eine Wanderung durch die Anden geknüpft.... das nennt man dann inka-smart, oder?  


Als Alternative zum überlaufenen Inka-Trail (für den man sich ohnehin Monate im Voraus hätte anmelden müssen) fanden wir den fünftägigen Salkantay-Trek. Und das Inka-Glück sorgt dafür, dass mit Leo, Christina und mir die Wandergruppe komplettiert war und wir in Chino einen kompetenten Inka-Guide hatten.

Am ersten Tag laufen wir entlang eines antiken Wassergrabens auf den schneebedeckten Salkantay (6271m) und den Nachbarberg Umuntay (5920 m) zu. Die Sonne lacht. Chino lässt uns mit seinen Erzählungen über die Chaski (= Läufer im Inkareich) vergessen, dass unsere Höhen-Akklimatisierungsphase vergleichsweise sehr kurz war. Noch vor dem Essen steigen wir zu einer türkisen Gletscherlagune. Dort bekommen wir vorsorglich schon mal die „I-Survived“ T-Shirts überreicht.


Mein Respekt vor der Nacht auf 4000 Meter und der morgigen Etappe ist groß und ich beneide schon jetzt die ‚Glamping‘-Unterkünfte, um ihre Heizungen. An einer guten Essensgrundlage sollte es aber nicht mangeln, den unser Koch sorgt für kulinarischen Luxury-Glamping-Deluxe-Charakter.

Galaktisch oder gar inka-galaktisch? Nach dem Abendessen schauen wir in den Himmel. Es scheint als könne man nachts auf der Milchstraße die Wanderung fortsetzen. Am nächsten Morgen werden wir mit heißem Koka-Tee geweckt. Im Dunklen beginnen wir den Aufstieg zum Salkantay-Pass. Es ist nicht steil, aber es geht kontinuierlich bergauf.

Auf dem höchsten Punkt unserer Tour danken wir Apu (die Berggottheit) und Pachamama (Mutter Erde) und dürfen drei Wünsche äußern, indem wir Cocablätter und die mitgebrachten Steine ablegen.
















Dann steigen wir nach Huayracpampa hinunter, wo wir das Mittagessen zu uns nehmen. Mir brummt der Kopf und Inti (Vater Sonne) meint es gut mit uns... Die Hoffnung, dass das Kopfweh mit jedem Meter ins Tal abnimmt, bewahrheitet sich nicht. Im zweiten Camp auf 2.900m fasst mein Körper den zweiten Tag für sich zusammen, streckt mich nieder und bereitet mir eine unangenehme Nacht.


Auf etwas wackligen Beinen  geht es dann am nächsten Morgen auf eine Flachetappe in Richtung Urwald. Es wird zunehmend heißer und am Wegesrand warten Orchideen, Vögel, tropische Früchte- und Kaffeeplantagen. In der Mittagspause revanchiere ich mich bei meinem Körper und zwinge ihn einem Fußball hinterherzujagen... ziemlich unvernünftig, aber so erzwinge ich ein Unentschieden.  

Der heutige Wandertag nimmt dann ein abruptes Ende und nach der Mittagspause bringt uns ein Bus nach Santa Teresa. Dort besuchen wir am späten Nachmittag das warme Thermalbad und bereiten uns am Beckenrand mit kühlen Getränken für den Abend vor. Abends geht es auf dem Campingplatz rund. Der Kioskbetreiber haut von Ricky Martin, Enrique Iglesias, Macarena und Mamboo No 5 so ziemlich alles raus, was es an spanischen Sommerhits in den letzten Jahren gab. Natürlich darf "Despacito" nicht fehlen. Und die anderen Wandergruppen werden spätestens von Christina angefeuert, so dass aus jedem müden Wanderschuh ein flottes Tanzbein erwuchs.

Wir entscheiden uns für die nächste Wanderetappe und gegen das Spaßprogramm am nächsten Tag. Ein letztes Mal werden wir frühmorgens mit Kokatee und einem herrlichen Frühstück geweckt. Chino versucht sich nicht anmerken zu lassen, dass er böse verkatert ist sondern schwört auf die universelle Kraft der Cocablätter. Wir lassen ihn in seinem Glauben. Auf den Inka-Stufen wandern wir
hinauf zu den Inka-Ruinen, die einen ersten Blick auf Machu Piccu ermöglichen.

Es folgt ein endloser Abstieg, ein Mittagsessen an der Hidro Electrica und 3 Stunden, in denen wir stur den Schienen nach Aquas Calientes folgen. Im Nachhinein war diese Etappe sicherlich die anstrengendste, dafür war das Städtchen deutlich freundlicher als wir das vermutet hatten.
Wieder eine kurze Nacht, denn in aller Inkafrühe geht es mit dem Bus nach Machu Piccu hinauf. Mit Sonnenaufgang und im mystischen Frühnebel wandern wir durch die Anlage. Besonders beeindruckt sind wir von der Akkuratheit, mit der die Inkas im 15. Jahrhundert die Steine geschliffen und exakt aufeinandergestapelt haben.


Ab 9.00 Uhr werden wir dann auf den Weg Richtung Berggipfel gelassen. Dieser liegt nochmal 650 Meter höher  und verspricht das klassische Postkartenmotiv auf die Ausgrabungsstätte Machu Picchu. Dazwischen liegen viele, mittlerweile vertraute, Inka-Stufen. Doch der Blick von oben ist jeden Meter des Aufstiegs wert! 


"Schaut, hier sind wir vor 5 Tagen gestartet" und Leo zeigt auf den Spalt der schneebedeckten Berge Salkantay und Umuntay. Faszinierender als die mittlerweile gut befüllte Ausgrabungsstätte ist der Weg, der hinter uns liegt. Mit dem Finger zeichnen wir ihn nach. "Ah, und dort der Aussichtspunkt von gestern!" Wir genießen unser Picknick auf dem Gipfel und den Blick in die sagenhafte Landschaft. Das ist unser krönender Abschluss der Wanderung auf dem Salkantaytrek! 

Inka-weit, Inka-steil und Inka-gut! Ich muss mir eingestehen, dass einige Orte ihren Platz auf der touristischen Landkarte verdienen, weil sie einzigartig schön sind. Die Nebenerscheinungen einer Tourismusdestination, nun ja, sind nicht zu übersehen. Bleibt zu hoffen, dass Maccu Piccu weiterhin sehenswürdig bleibt.

Inka-Richard sagt vielen Dank an Inka-Leo und Inka-Christina für diese tolle Expedition durch Peru!

Sonntag, 16. Juli 2017

Die Kolumbien Umschau

Vor der Reise nach Kolumbien sucht Richard den Impfpass. Die Schutzimpfung gegen Gelbfieber ist ein Muss. Sie dient nicht nur der eigenen Gesundheit, sondern verhindert, dass sich Viren im Zielland ausbreiten können.

Eine andere Ansteckungsgefahr bleibt jedoch bestehen. Leo steht am Flughafen und hatte Christina und mich bereits vorgewarnt. Doch gleich beim ersten Abendessen im Café Popular zeigen sich die erste Symptome. Die Augen werden schwer und fallen gleich zu und der Mund steht offen. Diagnose: staunende Verwunderung über die gelebte Herzlichkeit trotz Jetlag. Es wird mit offenen Armen begrüßt und gelacht. Und es ist eine warme, sehr natürliche Herzlichkeit; das Gegenteil von lästiger Pflicht oder kommerzielle Höflichkeit. Ich bin voll empfänglich und lasse mich von der ersten Minute an von der Kolumbianischen Herzlichkeit infizieren.

Mit diesen Umgangsformen hatte ich so nicht gerechnet. Mit Kolumbien verbindet man erstmal Drogenkartelle, Guerillagruppen, Gewalt, Korruption und Ausbeutung. Doch das ist Geschichte. Und mehrmals ereilt uns die Bitte, den Familien und Freunden in Europa vom heutigen Kolumbien zu erzählen. Die Netflixserie Narcos sei das Kolumbien der 70er und 80er Jahre! Es zeigt, welche schlimme Zeiten man gemeinsam durchgestanden hat. Diese Zeit hätte man aber längst hinter sich gelassen! Man schaue nur noch nach Vorne und freue sich, was die Zukunft bringt. Man ist stolz und möchte nach der eigenen Genesung möglichst vielen Menschen die schönen Seiten Kolumbiens verabreichen.

Kolumbien hat da viel zu bieten. Es ist ein krass vielseitiges und abwechslungsreiches Urlaubsland. Während Leo und Miri an der wilden Pazifikküsten Wale beobachten, liegen wir am türkisblauem Nass am Karibikstrand und kämpfen uns nachts durch den Dschungel zurück zum Campingplatz. In Medellin brechen wir aus der "Gringobubble" EL Poblado aus und tanzen zu später Stunde mit den Besitzern eines Bierkiosks und einer kolumbianischen Familie auf der Straße. In der farbenfrohen Kleinstadt Guatape fahren wir mit dem Tretboot durch die Seenlandschaft. In Bogota trinken wir den besten Kaffee auf der Reise und lernen, wie Justin Biber unfreiwillig der Legalisierung von Graffiti verholfen hat. Zum Abschluss unserer Reise dürfen wir mit den Freunden von Miri und Leo bei Tapas und kühlem Club Colombia Abschied feiern.


Die letzte Taxifahrt verläuft wie die vorherigen Taxifahrten. Der Taxifahrer ist interessiert, möchte sich mit uns unterhalten. Es spielt es keine Rolle, dass mein Spanisch auf 50 Worte beschränkt ist und das einseitige Frage-Antwort-Spiel keine inhaltlich Tiefe gewährt. Der Taxifahrer hört nicht auf und wiederholt die Fragen bis ich sie verstehe. Das Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Kommunikation und Wärme ist einfach ausgeprägt und räumt die sprachlichen Barrieren - so gut es halt eben geht - bei Seite. "Ob wir denn wiederkommen wollen?", fragt er. "Si klaro!", antworten wir.

Die Herzlichkeit in Kolumbien in Worte zu fassen fällt mir schwierig. Vielleicht weil eben Worte genau das sind, was hierbei keine große Rolle spielt.

Daraus ergebt sich in Summe also folgende Reisewarnung: Die kolumbianische Lebensfreude ist hoch infektiös! Herzliche Menschen sind einer besonderen Ansteckung ausgesetzt, denn wer herzlich ist, dem ist man gegenüber auch herzlich. Nach sehr kurzer Inkubationszeit hat man es mit einem progredienten Urlaubsverlauf zu tun, dessen Nachwirkungen anhaltend sind. Es ist an dieser Stelle geraten alle Antikörper zu Hause zu lassen!


Zu weiteren Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie einen Blogger Ihres Vertrauens!

Richard

Sonntag, 5. März 2017

Übung macht den Meister: Der geskatete Klassikschritt

Es ist eine nationale Angelegenheit. Es ist Schwedens größtes Sportereignis. Ein Volksfest. An den verschiedenen Läufen der Wasalaufwoche nehmen mehrere zehntausend Menschen teil. Highlight ist sicher der 90 Kilometer lange Wasalauf (Vasaloppet), bei dem 16.000 Teilnehmer in der Loipe und 2 Millionen Schweden auf dem Sofa sich der Tradition verpflichtet fühlen.

Der Wasalauf erinnert an den letztlich doch geglückten Versuch die Bürger für den Befreiungskampf zu mobilisieren. Der dänische König in Stockholm war zwar mehr als unbeliebt, doch wollte sich die Bevölkerung dem Aufständischen Gustav Wasa zunächst nicht anschließen gegen Dänemark in den Krieg zu ziehen. Als die Stimmung sich drei Tage später änderte, wird Wasa auf Ski verfolgt und nach 90 Kilometer eingeholt. Sie überreden ihn, zurückzukehren und den Kampf zu leiten. Zwei Jahre später wird Schweden unabhängig und Gustav Wasa König.

Das Ziel der Läufe ist ein Holztor, auf dem steht: „In der Spur der Väter – für die Siege der Zukunft". Tagespolitisch klingt das selbst vielen Schweden eine Spur zu nationalistisch. Trotzdem ist man sich einig, dass jeder Schwede zu mindestens einmal im Leben den Wasalauf bestreiten sollte.

Um ein bisschen in die schwedische Kultur einzutauchen, habe ich mich auch auf die Bretter gestellt.
Neben dem Hauptlauf für ambitionierte Langläufer, gibt es weitere Nebenläufe für ambitionierte Breitensportler. Und solche, die es werden wollen! Für mich gilt eher: Ich habe 30 Kilometer Zeit, um die Techniken des Langlaufens zu erlernen. Für die notwendige Energie soll die Blaubeersuppe sorgen, die einem unterwegs gereicht wird...

Mit einem Bus geht es an den Start. Dort hole ich mir meine Startnummer ab und ziehe mich um. Winterjacke und Stiefel landen in einem Sack, der mit meiner Startnummer beschriftet, auf einem großen LKW landet. Logistisch gesehen funktioniert der Langlaufwettbewerb auf Schnee genauso wie ein Langwettbewerb auf der Straße. Nur das man auf der Straße keine Stöcke braucht....Mist, also renne ich zurück in Richtung Bus. Auf dem Weg dorthin, sagt man mir, dass die Stöcke gefunden wurden und auf dem Weg zur Startlinie seien. Man wünscht mir viel Glück.


Dass ich das zweite Mal auf Langlaufski stehe, lässt sich nicht verbergen. Kurz vor dem Start lasse ich mir sagen, dass es beim Langlauf keinen linken oder rechten Ski gibt. Ich wundere mich über die klebrige Fläche auf meinen frisch gewachsten Ski, die ich in einem örtlichen Sportgeschäft geliehen habe. Doch wegen des Malheurs mit den Stöcken muss ich sofort in den Startblock. Immerhin: Ich kann mich somit unauffällig ganz ganz hinten einreihen, so dass ich niemanden im Weg stehe.



Die ersten Meter sind gar nicht so schwer. Wie am Fließband fallen die Teilnehmer meines Starterblocks auf die präparierten Schienen aus Eis. Auf Youtube habe ich mir Tutorials angeschaut und setze die Füße nach und nach unter Druck nach Vorne. Die ersten Steigungen. Ich achte erstmal darauf, dass ich die Spur nicht wechseln muss. Doch da passiert es schon, von hinten naht ein schnellerer Läufer, ich setze nach rechts über, die Ski verheddern sich und liege mit dem Gesicht im Schnee.

Übung macht den Meister, denke ich mir und rausche bei Kilometer 2 bei der ersten Verpflegungsstation an. Ehrenamtliche Helfer reichen warmen Tee und Wasser. Im Folgenden finde ich langsam ein Tempo und unterbreche nur ungern, um Photos zu machen. Trotz schöner Winterlandschaft im Sonnenschein treibt einen dann doch der Wettbewerbsgedanke. Alles noch sehr wackelig und ich jogge mehr mit meinen Ski als dass ich sie stilvoll durch den Schnee gleiten lasse. Ich nehme gerne Tipps an und lasse mir sagen, dass ich mit meinen Skistöcken etwas besser aufpassen solle. Auf meine Antwort, dass ich das gerade lerne, antwortet mir die Dame kurz angebunden: "Na, dann ist ja gut, dass es dir jemand sagt".

Das sitzt. Ich möchte Land zwischen die Mutti und mir bekommen. Doch auf den nächsten Kilometern überholen wir uns häufiger gegenseitig. Sie hat die bessere Technik, ich habe den schnelleren Antritt. An den steileren Abhängen, habe ich mehr Mut - und stehe vielleicht schneller auf - doch wenig später sehe ich ihr Mütze wieder von hinten. ich beginne beide Stilarten des Langlaufens gleichzeitig zu erlernen: der geskatete Klassikschritt. Links, rechts, beide Stöcke ca. einen Meter vor mir in den Schnee. Dann ziehen...

Kostprobe? Unkonventionelles Langlaufen eingebettet im Werbevideo von Volvo?
https://www.youtube.com/watch?v=UrbtLdOAO_E 

Mit jedem Zug werden die Arme dann schwerer und irgendwann möchte man einfach am Ziel sein. Ich grüße ein paar Gesellen, die sich im Wald ein Lagerfeuer gemacht haben und fröhlich dem Teilnehmerfeld zuwinken. Es wird etwas dörflicher und dann beginnen nach dem vollbelegten Campingplatz die Zuschauerbanden. Für unter drei Stunden hat es nicht gereicht. Aber ich reihe mich ganz schwedengetreu im Mittelmaß des Teilnehmerfeldes ein. Ganz unschwedisch filme ich meinen Einlauf aber mit dem Smartphone, was vom Stadionkommentator lauthals angemerkt wird. Eigentor:
Somit wird etwas zu viel Aufmerksamkeit auf meinen geskateten Klassikschritt - diesmal nur mit einem Stock - gelenkt. Egal - ich bin da und durch.

Christina geht am nächsten Tag an den Start. Ihre Vorbereitung steht meiner nichts nach. Doch getrieben von ihrer Schwester und ihrer Tante, wird sie sich auch keine Blöße geben wollen. Gemeinsam mit unserem Gastgeber verfolge ich den Start des Laufes im Fernsehen. Die Gewinnerin erreicht gerade mit 1,15h die Ziellinie und bekommt einen Kranz um den Hals. Christina startet im hinteren Teilnehmerfeld und so bleibt viel Zeit, um den Mora zu erkundigen:



















Bald drauf tracke ich Christina ein paar Kilometer vor dem Ziel. Kurz vor der Ziellinie bekommt sie einen Kranz von mir. Sie hat es auch geschafft! Und ist geschaftt. Gemeinsam freuen wir uns, dass die 30 Kilometer hinter uns liegen. Für mich gilt: Man lernt nie aus. Den Kurs "Langlauf für Fortgeschritte" dann auf 90 Kilometer?!

Heja! Heja!