Schon bei der Autovermietung begegnen wir einem typischen
Bilde, das in Deutschland über unser Nachbarland vorherrscht. Mit dem Mietwagen
nach Osteuropa? Da kann ich Ihnen keinen VW Golf geben! Sind Sie sich sicher,
dass Sie nicht den vollen Versicherungsschutz wollen? Na, Sie werden ihr blaues
Wunder erleben, wenn der Wagen dann weg ist…
Auf der Hinfahrt ereignet sich dann folgender Dialog:
Besteht eigentlich Staugefahr auf der Autobahn nach Breslau? Blöde aber sehr
witzige Antwort von der Rückbank: Sehr unwahrscheinlich oder ist die Erntezeit
für Spargel gerade vorbei gegangen?
Ich behaupte von mir, dass ich zwischen Witz, Schubladenwissen
und Vorurteilen differenzieren vermag; gleichzeitig stelle ich in diesem Moment
fest: Wirklich erlebt habe ich Polen noch nicht. Echt gut also, dass die Grenze
nur ein Katzensprung von Berlin liegt. Und so machen meine Freunde Tim, Joachim, Benedikt und
ich uns auf den Weg nach Polen!

Mein Polnisch beschränkte sich bisweilen auf den Powersatz: Smaczny Kalafior = leckerer Blumenkohl. Auch der Wortschatz der anderen geht
nicht über Danke [dziękuję] und Hallo [cześć] hinaus. Wir nehmen daher den Mini-Dolmetscher unseres Reiseführers zur Hand. Allerdings stimmen
wir schnell darüber ein, dass aus der Zeit gefallene Sätze wie „Wo kann ich
eine Telefonkarte kaufen?“ nicht zwangsläufig in das Überlebensvokabular
gehören. Auch ein Satz wie „Geben Sie mir 100g Käse, bitte“ gewinnt erst dann
an Bedeutung, wenn ich den Käse mit „ genau diesen“ oder „links“
und „rechts“ näher bestimmen könnte bzw. nicht zwangsläufig auf exakt 100g
festgelegt werde. Als wir bei der Parkplatzsuche an einem Frisör für Damen (damesky frizörsky) vorbei
fahren, dämmert es uns...
Wir leiten logisch ab -> Wosky sollsky wirsky parksky? Aber auch ohne unsere neuen Polnischkenntnisse anwenden zu müssen, finden wir kurz darauf eine Abstellmöglichkeit für unser Auto und und beziehen für eine Nacht das 5***** Hostel in Breslau.
Diese eine Nacht hatte es allerdings in sich. Was mit einem
abendlichen Stadtspaziergang begann, und sich über ein Bier in einer
urgemütlichen studentischen Bierstube und schließlich mit dem Weg ins Kombinat
am Marktplatz erstreckte, nahm seinen Lauf als Maggy aus Kanada an unseren
Tisch kommt und uns mit den Worten: „This might seem akward, but who are you?“
anspricht. Die Mädels aus Kanada, mit denen wir in Breslau noch tief bis in die
Nacht tanzen, leben und arbeiten schon seit zwei Jahren in Polen. Am
Ende war auch die wunderhübsche Caroline nicht mehr ganz so klar und fiel auf
ein geschicktes Ablenkmanöver von Ben(e) hinein, das uns in den weiteren Tagen
noch viel Freude bereiten sollte.
Weil Ben noch im Besitz des Zimmerschlüssels
war und uns nicht alleine im Club zurücklassen konnte, ist es wohl nicht minder
einem sehr glücklichen Zustand geschuldet, dass just in diesem Augenblick der
dato unbekannte Zwillingsbruder von ihm auftauchte und Caroline sicher nach
Hause begleitete....

Nach fünf Stunden Schlaf und einem deftigen Frühstück, bestehend aus Gulasch und Kaffee, sind wir wieder gestärkt für den
wunderschönen historischen Stadtkern von Breslau. Auf dem Marktplatz (Rynek)
findet heute ein Jimi-Hendrix Weltrekordversuch statt. Es wimmelt in der Stadt
an Leuten, die überall verteilt an ihren Gitarren zupfen. Über die Oderbrücke
("Was ist das für eine Gesellschaft, in der das Symbol der Liebe ein Vorhängeschloss ist?") gelangen wir dann auf die Sandinsel, die
hauptsächlich von monumentalen Kirchen geprägt ist. Das man hier stolz über die
kürzliche Heiligsprechung der Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II. ist kaum zu
übersehen. Beflügelt von so viel Schön- und Erhabenheit sind wir nicht
beschwert von dem Germanisten, Literaten und Freizeitbettler Dr. Jerzy Tuleorz,
der uns erst, in sehr gewählter Sprache wohlgemerkt, auf seine Bücher hinweist,
uns dann kostenfreie Logis bei sich anbietet, und schließlich um 5 Zloty anschnorrt, da seine großen Banknoten offenbar so schwer unters Volk zu bringen
wären.
Weil uns schlesische Dörfer bis dato genauso vertraut waren
wie die häufig zitierten böhmischen, verlassen wir auf halber Strecke die
Autobahn und setzen unsere Fahrt nach Krakau auf einer Landstraße fort. Ob es
nun der Kölsch’sche Urtrieb ist oder das historische Gedächnis von Bene: Wir
landen in Gleiwitz: der Geburtsstadt von Lukas Podolski und der Namensgeber des
Radiosenders, der die Propaganda des Überfalls auf Polen bedeutsam
unterstützte. Auf dem schönen Rathausplatz ist die montenegrinische Eisdiele zu
empfehlen.

Über unsere AirBnB-Unterkunft in Krakau wussten wir nicht
viel mehr als das vor der Tür ein Weidenkorb voller Gemüse hängt,
der Schlüssel
in einer benachbarten Bar abgeholt werden soll und die 4 Betten für einen
unschlagbaren Preis von uns bezogen werden können. Abenteuer heißt, nicht zu
wissen, was einen erwartet. Abenteuer suchen heißt, die Anzeige zu wählen, die
nur mit einer polnischen Beschreibung hinterlegt wurde. Abenteuer erleben heißt, intuitiv die richtige
Wahl getroffen zu haben, im Szeneviertel Kazimierz gelandet zu sein und die folgenden
Tage in einer wunderschönen Gasse (welche u.a. als Filmkulisse für Schindler’s
Liste diente) wohnen zu dürfen.
Ich habe lange überlegt, ob ich in diesem Blog überhaupt
über Ausschwitz schreiben möchte. Es fällt nicht leicht, das dort Gesehene und das
bedrückende Gefühl, das einen beschleicht, in Worte zu fassen. Auch wenn wir
häufig mit dem schwärzesten Kapitel der deutschen Geschichte konfrontiert
werden, so ist alleine schon die räumliche Dimension der Lager nicht fassbar. Hinzu
kommt erschreckend ausgeklügelte Systematik; diese Mischung aus
Menschenverachtung, Ausbeutung und Willkür, die sich in jeder Ecke der
Gedenkstätte wiederfindet und der, im Arbeitslager Ausschwitz und im
Vernichtungslager Birkenau gleichermaßen, Millionen Menschen zum Opfer fielen.
Und das auf Grund eines nationalistischen Rassenwahns. Mir wird schlecht. Auf
dem Weg zurück zum Auto sprechen wir nicht. Und auf der Rückfahrt nach Krakau finden
wir erst langsam wieder zu Worten.
Dann gilt es es wieder das Nachtleben zu erkunden. Es gibt unzählige Kneipen und Bars zu entdecken. In der letzten sind wir dann so in unsere Skatrunde vertieft, dass
wir erst spät begreifen, dass sich die Bar mittlerweile zum privaten Vorglühort
der Barkeeper verwandelt hat. Um uns keine Blöße zu geben, gehören wir fortan
einfach dazu und begleiten die Gesellschaft in einen Club, der sich in einem
unscheinbaren Keller verbirgt. Und beim Mitternachtssnack beim 4/8er unserer
Wahl singt das Partyvolk die eingeblendeten Lyriks der besten Hits aus den
90ern. Oder war das in der Bar neben der Bar? In Krakau verliert man leicht den
Überblick.
Am nächsten Tag feiern die Polen ihre Verfassung und wir das
Restaurant, in welchem wir fast den ganzen Nachmittag verbracht haben.
Unglaublich, dass man für diesen Preis diese Qualität serviert bekommt… Der
Verdauungsspaziergang führt uns dann durch die Altstadt, den Grüngürtel der
Stadt, die Burg und in einen Schuhladen. Auf die Frage, welches Café die
Verkäuferin empfehle, zieht sie die Augenbrauen hoch und fragt: „Wollt ihr
ernsthaft Kaffee trinken?!“ Etliche Bars weiter (und an dieser Stelle sind kurz
die Autoren von dem Reiseblog:
http://howfarcanwego.de/ gegrüßt), treffen wir Tom, der
uns zum besten Club der Stadt fährt. Dort angekommen werden wir von einem
weiblichen Partygast gemustert, die dann keck zu uns meint: Jungs, wenn ihr
heute Abend Spaß haben wollt, dann solltet ihr wo anders hingehen. Als die
nächsten Partygäste kommen, wissen wir warum und machen uns auf zu einem
empfohlenen Club. Aus Four Room wird Forum und der Taxifahrer bringt uns auf die
andere Seite des Fluss, wo in der Empfangshalle eines alten Hotels gefeiert
wird. Wir entern ein Boot, beschützen ein Taxi vor einem fliegenden Ölfass und lernen Breakdancemoves in einem 4/8 Restaurant*. Was ziemlich verrückt klingt, endet noch verrückter...
Nach etlichen Mautbrauts und einem sehr empfehlenswerten
Slow-Food Restaurant in Opole kehren wir nach vier Tagen wieder nach Berlin zurück.
Mit im Gepäck eine große Tüte mit Fleischspezialitäten vom Metzger, Kontaktdaten, tolle Fotos und noch viel bessere Erinnerungen und jede Menge Material, um diesem Blogeintrag noch etliche Zeilen hinzufügen zu können. Kurz: Reichlich Eindrücke, um sich selbst ein Bild von Polen machen zu können. Der Reiseführer würde an dieser Steller mit dem Vermerk auftrumpfen: Echt gut!
Liebe Grüße, Richard
* Was ist ein 4/8 Restaurant?
Im Grunde genommen stellte das 4/8 Prinzip eine herausragende Form der Systemgastronomie dar, die insbesondere durch eine standardisierte und vereinheitlichte Preispolitik besticht: Kurz: Essen 8 Zloty (2 Euro) und Getränke 4 Zloty (1 Euro).